Er hat viel Erfahrung mit Tourbillons, hat sie schon in verschiedensten Varianten und Grössen als Einzelstücke angefertigt. Nun lanciert Frank Jutzi eine Armbanduhr mit einem von ihm überarbeiteten chinesischen Tourbillonwerk.
AHCI nennt sich ein besonders exklusiver Club von Uhrmachern – es ist die Académie des Horlogers Créateurs Indépendents, die Akdemie unabhängiger Uhrenkreateure. Die Namen der Mitglieder sind illuster: Vianney Halter, Paul Gerber, Svend Andersen, Felix Baumgartner, Philippe Dufour, um nur einige zu nennen. Auch der 45jährige Berner Frank Jutzi, Uhrmacher mit Leib und Seele, ist Mitglied der „Académie“. Schon im ersten Jahr seiner 1981 in Bern begonnen Uhrmacherlehre in Bern tüftelte der ehemalige Steiner-Schüler an seiner ersten eigenen Uhr, einer Sonnen-Monduhr mit skelettiertem Werk. Gleich nach der Lehre eröffnete Jutzi 1985 sein eigenes Atelier für die Restauration von antiken Uhren. Wann immer es die Zeit zuliess, arbeitete er zudem an eigenen Entwürfen.
Frank Jutzi in seinem Atelier
1998 stellte Frank Jutzi seine Standuhr mit 2 Monaten Gangdauer und transparentem Werk erstmals am Stand der AHCI aus, damals noch im Status des Kandidaten. 2000 wurde er als Mitglied in die AHCI aufgenommen. Heute liegt sein Atelier im ländlichen Wichtrach im Berner Aaretal. Ein Besuch ist ein Erlebnis – neben Sumiswalder Pendulen hängen alte Regulatoren, auf den Tischen stehen „Capucines“, auf einem Uhrenbeweger drehen mehrere Armbanduhren, die gerade in der Kontrolle sind. Jutzi und seine Mitarbeiter decken ein breites Spektrum an Uhrenrestaurationen ab. In jeder freien Ecke, so scheint es, stehen noch Uhren, Bestandteile oder auch alte Maschinen. Letztere sind voll funktionsfähig und werden auch regelmässig eingesetzt. „Ich kann nichts wegwerfen“ sagt Jutzi. Nicht zuletzt dürfte daran auch sein ökologisches Gewissen mitbeteiligt sein. Nicht-Autofahrer Jutzi liefert schon mal eine Standuhr per Zug, so geschehen diesen Sommer, immerhin bis zu einem Kunden in St. Tropez.
2001: Das erste Jutzi-Tourbillon
Zur Jahrtausendwende hatte die unterdessen in argen Schwierigkeiten steckende Goldpfeil-Gruppe mit viel finanziellem Aufwand ein Projekt namens „Seven Masters“ lanciert, bei dem sieben ausgewählte Mitglieder der AHCI je ein spezielles Einzelstück und dazu eine kleine Serie von exklusiven Uhren herstellte. Auch Jutzi war einer der „Auserwählten“. In den Jahren 2000/2001 fertigte er im Rahmen dieses Projekts sein erstes Armbanduhren-Tourbillon.
Diese Komplikation gilt nach wie vor als die grösste Herausforderung für einen Uhrmacher. Die Idee hinter dem vom legendären Abraham Louis Breguet erfundenen Mechanismus ist es, die Gravitationskräfte der Erde zu kompensieren, die auf das Regulierorgan der Uhr einwirken. Darum werden die wichtigen Bestandteile Ankerrad, Anker und Unruh in ein Drehgestell, den so genannten Tourbillonkäfig, verbaut. Dieser dreht sich dann einmal pro Minute um die eigene Achse, die auf dem Sekundentrieb montiert ist. „Diese Konstruktion trieb mich fast zur Verzweiflung – es war eine dermassen komplexe Angelegenheit.“ Jutzi integrierte den Tourbillon-Mechanismus in ein exquisites historisches Formwerk aus den zwanziger Jahren, das entsprechend angepasst werden musste. Einmal mehr zeigte sich hier Jutzis grosse Liebe zur antiken Uhr. Das Ganze wurde in ein klassisches Tonneau-Gehäuse aus Weissgold integriert.
Tischtourbillon von Frank Jutzi
Nach einer längeren Tourbillon-Pause („Ich konnte das Wort nicht mehr hören“ sagt er heute mit etwas Distanz…) widmete er sich wieder dem „Wirbelwind“, das Thema liess ihn eben doch nicht los. Diesmal sollten die Konstruktionen jedoch wesentlich grösser werden: Eine auf 25 Stück limitierte Serie von Tischuhren mit 14-Tage-Werk, Regulator-Zifferblatt und Mondphasenanzeige. Jutzi hat mehrere Tisch- und Standuhren kreiert, laufend werden es mehr. Die Konstruktionen sind unterschiedlich und zum Teil sehr ausgefallen. Gewisse Einzelstücke basieren auch auf bestehenden Grundwerken, die Jutzi radikal modifiziert. Zur Zeit haben es ihm vor allem die „Mystérieuses“ angetan, Uhren bei denen der Mechanismus verborgen bleibt und dadurch – der Name sagt`s – etwas Mysteriöses ausstrahlen. Faszinierend ist seine letzte komplette Eigenkreation, eine Mystérieuse mit Tourbillon, die er 2008 an der Baselworld präsentierte. Bei diesen Uhren kommt immer auch der Kunsthandwerker Jutzi zum Zug: Die Statue der Frau, die das Zifferblatt hält, hat der vielseitige Macher selber entworfen und in Bronze gegossen.
Die Chinesen kommen
Bei einem Rundgang durch die Baselworld 2007, dem jährlichen Treffen der ganzen Uhrenbranche, entdeckte Jutzi mehrere chinesische Produzenten, die Tourbillonwerke anboten (dies neben unverblümt gezeigten Nachbauten von ETA-Werken). Auf Internet-Plattformen werden seit längerem Tourbillon-Uhren mit fantasievollen, französisch angehauchten und entsprechen nobel klingenden Namen feil gehalten, zu Discountpreisen. Die Qualität ist entsprechend. Jutzi war dennoch fasziniert und inspizierte die Werke akribisch. „Es gibt sie in den unterschiedlichsten Ausführungen. Das meiste ist von absolut dürftiger Qualität.“ Bei einem Hersteller hingegen staunte der Meisteruhrmacher, die Konstruktion war ordentlich, lediglich die Ausführung liess Sorgfalt und Liebe zum Detail vermissen. „Mir wurde aber rasch klar, dass diese Werke mit entsprechender Überarbeitung durchaus auch höheren Ansprüchen genügen könnten. Natürlich nicht auf dem Niveau der wirklichen „Haute Horlogerie“, aber in einem ehrlichen vernünftigen Preisrahmen, der es auch einem nicht ganz so begüterten Uhrenliebhaber ermöglichen würde, den Traum der Tourbillon-Uhr zu verwirklichen.“ Jutzi ist gespalten, was die chinesische Werkproduktion und Uhrenindustrie angeht. Er anerkennt erstaunliche Fähigkeiten, die in China innert relativ kurzer Zeit entstanden. „Man muss sich auch nicht wundern – schliesslich lagerte die Uhrenbranche schon vor Jahren gewisse Arbeiten in die Billiglohnländer aus. Bis sie unser Qualitätsniveau und -bewusstsein erreichen, wird es noch dauern, aber sorgen sollte sich die Schweizer Industrie schon.“
Frank Jutzis fertiges „Toulbillon“
Exklusive Serie
Ende 2008 lanciert der nimmermüde Tüftler eine Kleinstserie einer Armbanduhr mit einem Tourbillon-Basiswerk aus China. Natürlich macht er sich damit nicht nur Freunde – die Branche beobachtet solche Aktivitäten mit Argwohn und ist mit der Klassierung „Nestbeschmutzer“ rasch zur Stelle. Jutzi kümmert dies nicht gross. „Mich interessiert gute Uhrmacherei, und das gibt es nicht nur in der Schweiz. Ich respektiere die geleistete gute Vorarbeit der Chinesen und gebe mein Bestes bei der Überarbeitung, damit daraus wirklich schöne Uhren entstehen. Ich stehe auch mit meinem Namen für das fertige Endprodukt hin und gewähre eine Garantie. “ Das würde Jutzi kaum tun, wenn er nicht von der Uhr überzeugt wäre.
Frank Jutzi bei der Montage des Zifferblatts
Alt und neu kombiniert
Ein Thema zieht sich durch Jutzis Schaffen: Die Kombination von alt und neu. Seine Faszination für alte Uhren und alte Dinge ist augenscheinlich, wenn man in seinem Atelier steht. Einmal mehr kombiniert Jutzi auch bei diesem Projekt Antikes mit Neuem: In seinem unerschöpflich scheinenden Fundus fand er noch einige kleine echte Emailzifferblätter, die er einst aus einem Uhrmachernachlass noch in einer Schublade liegen hatte. Diese hatten genau die richtige Grösse, um nun in seinem „Volkstourbillon“ Verwendung zu finden. Mit viel Liebe drehte er in seiner Werkstatt eine stilvolle Umrandung für diese kleinen Preziosen, die dann auf dem Basiszifferblatt fixiert werden. Dieses wiederum ist aus Messing, wird von Hand fein graviert und danach vergoldet. Auch die klassischen gebläuten Breguet-Zeiger stammen „aus den Archiven“. Sie heissen übrigens wegen ihrer Form so, und nicht, weil sie von einer alten Breguet stammen.
Die Tourbillon-Uhren dürften rasch ausverkauft sein. Schon bevor das erste Exemplar fertig gestellt war, gab es die ersten fixen Bestellungen. Dies ist nicht erstaunlich: Ein echtes Tourbillon und dazu einen „echten Jutzi“ für einen noch knapp vierstelligen Frankenbetrag erstehen zu können, ist für einen echten Uhrenliebhaber schon äusserst verlockend…