Was kommt Ihnen beim Stichwort Finnland in den Sinn ausser Sauna, wortkargen Rennfahrern oder feuchtfröhlichen Skispringern? Kaum talentierte Uhrmacher. Und doch: In der spezialisierten Uhrenindustrie im Jurabogen sind mehrere Finnen am Werk – und dies auf allerhöchstem Niveau.
Am Werk im wörtlichsten Sinn. Besonders bei den so genannten „Grossen Komplikationen“ trifft man beim Besuch in den Ateliers der Haute Horlogerie immer wieder auf Finnen am Etabli. So beispielsweise in der Abteilung „Spezialitäten“ der Firma Ulysse Nardin in Le Locle. Der Finne Marko Koskinen ist dort seit bald zehn Jahren beschäftigt. Wie viele andere seiner Landsleute besuchte er ursprünglich die finnische Uhrmacherschule mit dem zungenbrecherischen Namen Kelloseppäkoulu, die in den mehr als 50 Jahren ihres Bestehens mehr als 700 Uhrmacher ausgebildet hat. Viele von ihnen begaben sich nach der Ausbildung ins Ausland – und hatten selten Probleme, Arbeit zu finden.
Eine Art „Durchlauferhitzer“ für Uhrmacherspezialisten ist das WOSTEP in Neuenburg. Die Abkürzung steht für Watchmakers of Switzerland Training and Educational Program und gilt als eine der führenden Anbieterinnen von Weiterbildungs- und Perfektionierungskursen für Uhrmacherspezialisten. Männer und Frauen aus der ganzen Welt durchlaufen die Zusatzausbildungen dieser Schule, die durch verschiedene Firmen der Schweizer Uhrenindustrie, aber auch durch internationale Uhrmacherverbände finanziert wird. „Obwohl der Mangel an Fachkräften gross ist, haben leider einige Firmen immer noch nicht begriffen, dass man ohne finanzielle und ideelle Unterstützung von Institutionen wie unserer auf längere Frist keine grössere Anzahl an guten Uhrmachern finden wird“ sagt Marianne Hug vom WOSTEP. „Wir würden gerne mehr Kurse anbieten, können das aber nur bei verstärkter finanzieller Beteiligung aus der Uhrenbranche. Wir müssen aus Kapazitätsgründen heute talentierte Interessenten abweisen“.
Engagement und Durchhaltewillle
Auch im WOSTEP besuchen immer wieder Finnen die Zusatzausbildungen. „Wir haben sie als sehr engagiert und „angefressen“ erlebt. Praktisch alle haben bei renommierten Firmen in der Schweizer Industrie Anstellungen gefunden und im Lauf der Jahre die Karriereleiter erklommen“, so Hug weiter. „Unsere Prüfungen sind anspruchsvoll, und die Industrie stellt die von uns ausgebildeten Fachleute gerne ein.“ In einem Punkt allerdings kommt eines der Klischees über die Finnen dann doch noch zum Zug – am Montag seien sie öfters von „anstrengenden Wochenenden“ gezeichnet gewesen, formuliert sie diskret.
„Wir sind froh um jeden qualifizierten Uhrmacher“, bestätigt Susanne Hurni von Ulysse Nardin. „Wir schätzen an den Finnen besonders, dass sie sich bei uns sehr gut integrieren und mit Ruhe, Leidenschaft und viel Lernwille an die Arbeit gehen, sich „Hinaufarbeiten“. In der gehobenen Uhrenindustrie fehlen viele gut ausgebildete Profis. Es rächen sich die Sünden der Vergangenheit, als man nach der grossen Uhrenkrise die Ausbildung von Nachwuchs stark vernachlässigte.“
Vom Spezialisten zum Inhaber der eigenen Uhrenfirma
Der 36jährige Finne Stepan Sarpaneva hat eine dieser Karrieren gemacht. Nach seiner Ausbildung in der Kelloseppäkoulu-Schule und Lehrgängen am WOSTEP begann er 1994 seine Arbeit in der Industrie. Seine Stationen waren Firmen, deren Namen jedem ambitionierten Uhrenkenner wie Musik in den Ohren tönen: Piaget, Parmigiani, Vianney Halter und Christophe Claret. Sarpaneva spezialisierte sich im Lauf der Jahre auf uhrmacherische Paradedisziplinen wie das Tourbillon und die Minutenrepetition, die bis heute als die anspruchsvollsten Komplikationen gelten. Der finnische Meisterhandwerker kehrte aber im Gegensatz zu mehreren Landsleuten 2003 nach Finnland zurück. „Ich vermisste das Meer und die „Härte des finnischen Lebens“ – in der Schweiz geht alles fast zu einfach. Um wirklich kreativ sein zu können, brauche ich Druck.“
Heute stellt der umtriebige Finne in kleinsten Serien Uhren seiner eigenen Marke „Sarpaneva“ her. An der Basler Uhrenmesse 2006 brachte er die Loiste II auf den Markt, ein Modell mit einer eigenen Mondphasenkonstruktion und einer revolutionär neuen Kombination aus Schwungmasse und Sichtboden. Die Form des eigenwilligen Gehäuses ist inspiriert von einem Getriebeteil einer Harley. „Bei solchen Eigenkonstruktionen profitiere ich natürlich von meinen vielen Jahren in der Schweiz. Es war für mich und auch für andere finnische Kollegen eine grosse Bereicherung, auf so hohem Niveau arbeiten zu können.“
Gleichzeitig ist Sarpaneva nach wie vor als begehrter „Freelancer“, also als frei schaffender Spezialist, für Claret tätig, eine in Insiderkreisen bekannte Firma aus Le Locle, die mehrere Unternehmen der Uhrenbranche mit höchst komplexen Werken beliefert (und deren Kundenliste ein streng gehütetes Geheimnis ist). „Minutenrepetitionen kann ich auch in meinem Atelier in Helsinki zusammenbauen – nur für die Ablieferung und gewisse Endmontagearbeiten reise ich jeweils in die Schweiz zurück“. Wir sind überzeugt, dass wir in den nächsten Jahren noch viele tolle Uhren von Stepan zu sehen bekommen – und gespannt auf seine Entwürfe.