Kurz nach der Baselworld 2011 erreichte uns die vollkommen unerwartete Nachricht, dass der Abenteurer und Unternehmer Rolf Schnyder nach kurzer Krankheit verstorben sei. Die Uhrenbranche verliert mit ihm eine ihrer schillerndsten und wichtigsten Persönlichkeiten. Ein Nachruf auf einen Freund, ein Vorbild und einen Förderer.
Der gelernte Kaufmann Rolf W. Schnyder wurde 1935 in Zürich geboren und hat ein abenteuerliches Leben hinter sich. Mit 20 Jahren ging er nach Genf, um bei Jaeger LeCoultre zu arbeiten, und da kam er das erste Mal mit der Uhrenbranche in Kontakt. Wegen seiner guten Englischkenntnisse versetzte man den jungen Mann bald nach London, wo er zum ersten Mal an der grossen weiten Welt schnuppern sollte, die ihn nachher nicht mehr loslassen würde. 1958 begann er bei der Handelsfirma Diethelm in der thailändischen Hauptstadt Bangkok. Schnyder kam auf den Geschmack des asiatischen Lebens. Er unternahm die abenteuerlichsten Reisen an Orte, die damals noch in keinem Reisekatalog zu finden waren. Der Norden Thailands, Laos, Burma, Vietnam hiessen seine Destinationen. Schnyder wurde zum Hobby-Reporter und genoss das Leben in vollen Zügen.
Schon damals knüpfte er mit seiner offenen Art Kontakte und schuf sich ein Netzwerk. Daraus resultierte ein Job bei PhilipMorris, für die er mit Standort Hongkong diverse asiatische Märkte betreute. Erste eigene unternehmerische Schritte machte er 1968 mit der Gründung der Firma Cosmo. Diese produzierte in Bangkok Zifferblätter und Uhrengehäuse. Schnyder hielt grosse Stücke auf den asiatischen Arbeitseifer. Wegen Meinungsverschiedenheiten und Problemen mit seinen thailändischen Geschäftspartnern machte Schnyder sechs Jahre später einen Neustart mit der neuen Firma Precima im malaysischen Kuala Lumpur, das zu seiner neuen Heimat werden sollte. Die Produktepalette wurde um Federn und Saphirgläser erweitert. Der Vollblutunternehmer Schnyder hatte grossen Erfolg und konnte bald grosse Schweizer Firmen zu seinen Kunden zählen. Er eröffnete Büros im ASUAG-Gebäude in Biel. Die ASUAG war einer der Uhren-Platzhirsche, dem Marken wie Longines, Rado, Eterna und die noch heute führende Uhrwerkproduzentin ETA gehörten. In diesem Zusammenhang traf er auch den damaligen ETA-Direktor Ernst Thomke, der dann der Precima einen Teil der Modulproduktion für Quarzwerke outsourcte.
Lebemänner unter sich: Rolf Schnyder erhält in den siebziger Jahren im Hotel Kulm in St. Moritz von Gunter Sachs die „Gunter Sachs Trophy“, herausgefahren mit dem Skeletonschlitten auf dem Cresta Run.
Das Jahr 1983 brachte dann die ganz grosse Wende in Schnyders Leben. Er hatte sich einen angenehmen Wohlstand erschaffen, der ihm viele Freiheiten bot. Der Haudegen, der sich gerne auch sportlich auf Abenteuer einliess, weilte in St. Moritz, um auf dem weltberühmten Cresta-Run dem Skeletonfahren zu frönen, einem passenderweise richtigen Männersport. Dort erfuhr er vom Gerücht, dass die Firma Ulysse Nardin am Boden liege und zum Verkauf stehe.
Rolf Schnyder (mit Bart) suchte schon in jungen Jahren das Abenteuer: Von seinen Expeditionen in Asien veröffentlichte er Text- und Bildreportagen, wie hier 1959 von einer Flussfahrt mit drei Freunden auf dem River Kwai auf einem selbst gebauten Bambusfloss.
Rolf Schnyder im Element: Hier erhält er in den siebziger Jahren einen Preis für Erfolge auf Wasserskis. Der genaue Ort und die Namen der Ehrendamen sind unbekannt – unwohl schien ihm aber wohl kaum zu sein.
Das Rugby Team des Royal Bangkok Sports Club, 1970. Schnyder (stehend, ganz links im Bild) war auch sportlich ein Multitalent.
Als Branchenkenner wusste Schnyder um die phantastische Historie der Chronometerbauer aus Le Locle. „Den Ausschlag, Ulysse Nardin zu übernehmen gab für mich, dass es nicht sein durfte, dass eine derart traditionsreiche Firma einfach verschwinden sollte. Zudem war es während vielen Jahren für jemanden, der in der Uhrenbranche arbeitet, nicht zu übersehen, dass Ulysse Nardin ständig diese Präzisionswettbewerbe gewann. Als ich hörte, dass die Firma zu verkaufen war, war mir darum sofort bewusst, dass man auf Basis dieser Geschichte und dem vielen Know-how etwas ganz Tolles machen kann.“ So schilderte Schnyder seine Motivation in einem Gespräch, das wir vor einigen Jahren mit ihm führten.
Schnyder, Mann der Tat, fackelte nicht lange und organisierte Geld. Zwei seiner Partner wurden Balthasar Meier (fogal) sowie Yello-Musiker und Multitalent Dieter Meier. Man übernahm also die Le Locler Traditionsfirma, bei der noch ganze zwei Mitarbeiter angestellt waren. Ein Warenlager und eine phantastische Historie waren die Hauptaktiva. Er glaubte in einer Zeit, als alle nur noch Quarzwerke produzieren wollten, an den Wert der mechanischen Uhr, nicht zuletzt auch an den Stellenwert als „einziges Schmuckstück für Männer“.
Rolf Schnyder mit Ludwig Oechslin
Um die Traditionsmarke auf dem Markt neu zu lancieren, war jetzt ein richtiger Geniestreich gefragt. Dieser folgte, als Schnyder bei einer Visite im Atelier des Luzerners Jörg Spöring ein Astrolabium entdeckte, eine grosse und ungemein komplizierte astronomische Uhr. Deren Erbauer war Spörings Lehrling, ein gewisser Ludwig Oechslin. Schnelldenker Schnyder hatte die wohl entscheidende Vision. „Wer soll ein Interesse daran haben, das zu kaufen?“ war Oechslins Antwort auf Schnyders Frage, ob er ein Astrolabium als Uhr fürs Handgelenk entwickeln könne. Er solle das ruhig ihm überlassen, entgegnete Schnyder. Der Funke zwischen zwei sehr verschiedenartigen Menschen, dem Unternehmer Schnyder und dem Wissenschaftler, Entwickler und Philosophen Oechslin sprang sofort. Oechslin entwickelte in der Folge für Ulysse Nardin eine Uhr, die für mehrere Einträge im Guiness Buch der Rekorde sorgen sollte. 1985 wurde das Astrolabium Galileo Galilei an der Basler Uhrenmesse vorgestellt und war das Gesprächsthema. Die extrem komplexe Uhr zeigt neben der Lokalzeit die Sonnenzeit, den Lauf und die Finsternisse von Sonne und Mond sowie die Position bestimmter Fixsterne. Es dient zudem auch noch der Bestimmung der Himmelsrichtungen, der Jahreszeiten und der Bewegung des Tierkreises. Es sollten mit dem Tellurium und dem Planetarium noch zwei weitere, nicht minder komplizierte astronomische Uhren folgen. Im Jahr 2009 wurde dann mit der „Moonstruck“ und der „Planet Earth“ noch zwei Kapitel in der „Uhrmacherei der Sterne“ geschrieben (Tick different berichtete ausführlich).
Strahlen um die Wette: Anlässlich der Präsentation der Moonstruck 2009 an historisch bedeutender Stätte im Observatorium von Nizza war der Stolz des Ulysse Nardin-Teams nicht zu übersehen. Die Hauptbeteiligten am Projekt: hinten Ulysse Nardin-CEO Rolf Schnyder, der technische Direktor Lucas Humair sowie der langjährige Direktor Pierre Gygax, vorne MIH-Direktor Prof. Dr. Ludwig Oechslin und Patrick Hofmann, damals noch Marketing- und Verkaufschef, heute als CEO Nachfolger von Rolf Schnyder.
Ulysse Nardin war dank des Astrolabiums mit einem Schlag wieder im Olymp der Uhrenproduzenten angekommen. Schnyder konzentrierte sich voll auf seine Firma und verkaufte seine asiatischen Fabriken. Mit Oechslin und einer sehr fähigen Entwicklungs- und Produktionscrew wurden in der Folge uhrmacherische Meilensteine geschaffen wie der Ewige Kalender „GMT Perpetual“, die Weckeruhr „Sonata“ oder Preziosen wie die ultrakomplexen Uhren mit Westminster-Carillon und Tourbillon „Genghis Khan“.
Technologisch war Schnyder einer der grossen Vorreiter. Er war unter anderem einer der allerersten in der Branche, der das Potential der Herstellung von Uhrenteilen aus Silizium erkannte. (Siehe auch „Neues Basiskaliber von Ulysse Nardin“) Als den „Paten des Clans der Siliciens“ bezeichnete ihn der französische Uhrenjournalist Grégory Pons kürzlich in einem typisch französischen Wortspiel.
Bahnbrechend war in dieser Beziehung die Lancierung des „Freak“ im Jahr 2001. Diese Uhr, liebevoll eine „Mechanische Poesie“ genannt, stellte die bestehenden Regeln der Uhrengestaltung auf den Kopf. Es ist ein Caroussel-Tourbillon mit sieben Tagen Gangreserve, bei dem das Werk selber die Zeiger bildet. Die Hemmung, das Herzstück einer mechanischen Uhr, war eine völlige Neukonstruktion, natürlich wieder vom genialen Ludwig Oechslin ersonnen. Der „Freak“ bildete ein beträchtliches unternehmerisches Risiko, denn die Entwicklung verschlang grosse Summen, und es war nicht mit Sicherheit vorauszusehen, ob sich die Uhr denn auch verkaufen würde. Sie war so radikal anders.
Der „Freak“ war auch der Eisbrecher für alle die gewagten Konstruktionen und Entwürfe, die in den kommenden Jahren auf den Markt kommen sollten, von der Opus-Serie von Harry Winston bis zu den Uhren von Greubel-Forsey, Max Büssers „Horological Machines“ und vielen anderen. Auch dieser Verdienst gehört Rolf Schnyder, und er war sich dessen wohl bewusst.
Ulysse Nardin gilt dank Schnyders Visionen und dank seiner hervorragenden Crew heute als eine der innovativsten Firmen der Branche. Das 1983 noch am Boden liegende Unternehmen floriert und kann schöne Erfolge verbuchen. Die schwere Uhrenkrise hat Ulysse Nardin gut überstanden. Dank des Umstands, dass die Firma eben nicht zu einer grossen Finanzgruppe gehört, konnte Schnyder unternehmerisch richtig handeln, nämlich antizyklisch, und so die Zeit nutzen, um begonnene Entwicklungen konsequent umzusetzen. In den letzten Jahren wurde enorm viel in eigene Produktionskapazitäten investiert. Bei einem kürzlichen Rundgang durch die Manufaktur in La Chaux-de-Fonds trafen wir einen bemerkenswerten Maschinenpark an, auf den wohl mehr als ein Mitbewerber neidisch sein dürfte.
Der Haudegen Schnyder liess sich auch den Fallschirmabsprung zum 75. Geburtstag nicht ausreden.
Schnyder behielt bis zum Schluss eine grosse Neugier. An der Uhrenmesse in Basel konnte man ihn oft beobachten, wie er Details inspizierte, sich bei den Kreateuren der AHCI oder im Palace bei den Tüftlern der neuen Generation umsah und diskutierte. Er war immer unterwegs, pendelte zwischen Kuala Lumpur und Le Locle, Moskau und Florida. „Dank der heutigen Kommunikationsmittel stehe ich jederzeit in Verbindung mit meiner Firma. Einen Prototypen kann man mir innert 48 Stunden an jeden Ort der Welt senden“ schwärmte Schnyder noch kurz vor seinem Tod von seinem Managementstil „auf Achse“.
Seine Energie schien unerschöpflich – er bezog sie unter anderem aus seinen täglichen Qi Gong-Übungen, aber auch, wie er immer wieder betonte, mit viel Spass an der Arbeit. Ans Aufhören dachte er nicht wirklich. In einem Interview erklärte er noch vor kurzem, dass er „so Gott will, das Unternehmen noch viele Jahre weiterführen“ werde. Gott wollte nicht. Nach einer kurzen, heimtückischen Erkrankung starb der vitale Schnyder innert weniger Tage. Sein plötzlicher Tod löste auch in der Uhrenbranche viel Trauer und Bestürzung aus, in vielen Uhrenforen und -publikationen wurde dem unermüdlichen Schaffer gedacht.
„Rolf Schnyder war einer der letzten echten Vertreter der alten Garde. Er hatte vor allem die berühmte „Handschlagfähigkeit“, eine Charaktereigenschaft, die leider immer mehr verloren geht, sagte uns einer der Doyens des Uhrenhandels über ihn, der legendäre Wiener Juwelier Christian Hübner. Er war einer von Schnyders Unterstützern der ersten Stunde, als Ulysse Nardin wieder auf der Bildfläche erschien. Und so war es: Schnyder war in vielen Dingen ein Patron alter Schule. Sein Wort zählte, es war nicht nötig, immer alles schriftlich zu regeln.
Rolf Schnyder hat seine Nachfolge schon vor einiger Zeit aufgegleist. Eine treue Stammcrew mit zehn oder noch mehr Jahren Erfahrung in der „Ulysse Nardin-Family“ führt die Firma weiter, mit Patrik Hofmann als neuem CEO und seiner Witwe Chai Schnyder als neuer Präsidentin. Auch Vorkehrungen, damit die begehrte Perle Ulysse Nardin nicht in die Hände einer grossen Gruppe fällt, hat Schnyder getroffen, indem er die Aktien in eine Stiftung eingebracht hat.
Rolf Schnyder war seit 1992 mit der Malayserin Chai Oi Fah verheiratet, die ihm seine drei Kinder Ulysse Matt (17), Timur Flores (16) und Enzia Nadine (14) gebar. Er hinterlässt in seiner Familie, aber auch bei allen, die mit ihm zusammengearbeitet und ihn gekannt hatten, eine riesige Lücke.
Rest in Peace, Rolf.