Grosse Firmen wie Hewlett Packard hatten ihren Anfang in einer Garage. Ambitionen, zu einem Weltkonzern zu werden, hat der Laufentaler Daniel Nebel nicht. Aber er möchte vom Bau seiner Uhren leben können. Mit der Variocurve könnte dieser Traum wahr werden. Sie ist der Quantensprung in seinem bisherigen Schaffen.
JWD steht im ostdeutschen Sprachgebrauch für „Janz weit draussen“. ZWD, also ziemlich weit draussen, liegt Büsserach, im Lüsseltal, am Nordfuss des Solothurner Jura. Nach einer kurvigen Fahrt über den Passwang, erreicht man das Dorf, in der Nähe von Laufen. Es geht urchig zu – im Gemeinderat sitzen ausschliesslich CVP- und FDP-Männer. Bis ins Elsass wäre es nicht mehr weit.
Schauplatz unserer jetzt folgenden erstaunlichen Geschichte ist ein typisch schweizerisches Einfamilienhausquartier mit seinem Stilmix aus den sechziger Jahren bis in die Neuzeit. In einem dieser älteren Häuser öffnet sich für uns die Tür zu einer Doppelgarage. Es ist das Reich von Daniel Nebel, die Garage gehört zum Elternhaus. Was hier drin entsteht, sorgt in der Uhrenkreisen derzeit für viel Verwunderung.
Nebel ist von Beruf Maschinenmechaniker. Erlernt hat er ihn in einer Firma, die vor allem Einzelmaschinen und Prototypen baute. Entsprechend vielseitig war seine Ausbildung. Viel Erfahrung kam dazu, als er für diese Firma während einigen Jahren im Ausland als Techniker unterwegs war. Ganz, ganz weit weg teilweise, in Saudiarabien, im hintersten Ural. Einrichtungen für die Ölindustrie, hoch spezialisierte Maschinen. „In dieser Zeit hatten wir weder E-Mail noch Handys. „Das war zwar kompliziert, aber man hatte dafür auch seine Ruhe“ schwärmt Nebel von den „guten alten Zeiten“. Nach einigen Jahren wurde ihm aber die Reiserei zuviel. Den Ausschlag, die Stelle zu kündigen, war ein mehrmonatiger Aufenthalt im tiefsten Kasachstan. „Das war dann irgendwann nicht mehr so prickelnd. Doch ich möchte die Zeit nicht missen, ich habe sehr viel gelernt, nicht nur über Mechanik, sondern unter anderem auch über Hydraulik und elektrische Schaltungen.“
Selbst ist der Mann
An der neuen Arbeitsstelle wurde er sesshaft. Schon lange hatte Nebel Freude an Uhren und noch viel mehr Lust darauf, selber welche zu machen. Doch dafür braucht es einen gewissen Maschinenpark, und um richtig arbeiten zu können im Idealfall eine CNC-Maschine. Was tut ein umtriebiger junger Mann, wenn er das notwendige Kapital nicht zur Hand hat? Er baut selber eine.
Was macht man, wenn man keine CNC-Maschine hat? Man baut sich selber eine.
Gesagt, getan: Nebel macht sich an den Bau einer eigenen computergesteuerten Fräsmaschine. Ein wenig mehr als ein Jahr tüftelt er, kauft sich Komponenten, lässt sich Teile herstellen, die er selber nicht machen kann. Dann steht die Maschine, und einige Monate vergehen, bis sie nach Wunsch läuft. Bei Schlüsselkomponenten wie dem Arbeitsschlitten macht er keine Kompromisse – von ihnen hängt die Präzision entscheidend ab. Bei der Steuerung hingegen verzichtet er auf die neueste Generation mit allen Schikanen. „Bei der von mit gewählten Steuerung bringe ich die selbe Präzision hin. Bloss ist halt das Einstellen jeweils ein wenig aufwendiger. Damit kann ich leben.“ Das war vor zwölf Jahren. Seither hat er mit seiner „Nebel“ tausende von Teilen gefräst.
Unterdessen sind zwei weitere Eigenbaumaschinen dazugekommen. Eine Drehmaschine ergänzte der Tüftler mit zwei Spindeln, die Steuerung teilt er sich mit der grossen Fräsmaschine. Der andere Eigenbau dient dem Bedrucken der Zifferblätter, Datums- und Stundenscheiben im Tampondruckverfahren. Auch hier sind einige pfiffige Lösungen aus dem Erfahrungsschatz des Mechanikers eingeflossen. Man macht sich wohl keine vorstellung, wie viele Arbeitsstunden in den Maschinen stecken. Nebel selber weiss es nicht und will es auch gar nicht wissen. Hauptsache, er ist autonom.
Der Tüftler Daniel Nebel in seiner Garagenwerkstatt.
Wozu die ganzen Maschinen? Schon früh hatte Nebel Interesse an Uhren und den Drang, selber welche herzustellen. So machte er sich an seiner ersten Uhrengehäuse und Zifferblätter. „Nord Zeitmaschine“ wurden die Uhren getauft, das N und das D in Nord steht für Daniel Nebels Initialen.
Die ersten Zeitmaschinen
Die technische Ausstattung war anfangs noch sehr bescheiden, einfache Quarzwerke trieben seine allerersten Modelle an. Bald folgte die erste eigentliche Kollektion namens T1. Eine einfache Dreizeigeruhr mit ETA 2824-2 Automatikwerk, in Varianten mit und ohne Datum. Ein Edelstahlgehäuse, auf den eigenen Maschinen aus dem Vollen gefräst, mit einer gewölbten Lunette, die mit 8 Schrauben fixiert wird. Zum ersten Mal kamen hier Zifferblätter mit Radialschliff zum Einsatz, die mit Rhodium oder Schwarzgold beschichtet wurden. Kleine Schrauben bilden die 12 Stundenindexe. Bis aufs Werk, die Gläser und die Zeiger entstanden sämtliche Teile in Nebels Garagenwerkstatt. Markantes Stilmittel war von Anfang an die Krone der Uhr mit ihrer eigenwilligen Form.
Die Serie markierte den Anfang von Nebels Stil. Die Uhren haben etwas Rohes, sehr Authentisches. Das Design hat etwas sympathisch Hausbackenes – man merkt sofort, dass sie nicht durch dutzende von Produktsitzungen mit einer Armada von Designern und anderen Vielwissenden gegangen sind. Gerade dieser ehrliche Charakter macht viel vom Charme der Zeitmaschinen aus Büsserach aus. Bilderbuchschönheiten haben oft etwas Langweiliges, wahre Charakterköpfe zeichnen sich auch durch ihre Imperfektionen aus.
Bisher die erfolgreichste Nord Zeitmaschine: Das Modell „Radial“
Ähnlich im Stil, aber mit einem höchst eigenwilligen, löchrigen Zifferblatt und einer noch aufwendiger gemachten Lunette ist die U71, auch sie in verschiedenen Ausführungen hergestellt. Eine erste kleine Komplikation lancierte Nebel dann mit der Radial, seinem bisher erfolgreichsten Modell. Die Zeit wird mit Hilfe von Scheiben angezeigt. In einem grossen Fenster bei 12 Uhr erscheint die Stunde, dargestellt mit Zahlen auf einer drehenden Scheibe. Die Minuten zeigt ein kleiner roter Index, auch er auf einer drehenden Scheibe. Das Zifferblatt mit seinen Ausfräsungen entstand inhouse, inklusive die Lackierungen oder galvanischen Behandlungen. Am meisten Beachtung fand hier die Version V3 mit ihren „Büsseracher Streifen“, einem geraden Streifenschliff, den Nebel – Ehrensache – natürlich selber anbringt (nicht ohne vorher dafür eine schlaue Einrichtung gebaut zu haben). Die Krone erinnert an einen Trommelrevolver. Ein Teil mit vielen Arbeitsgängen, inklusive eingefrästem „N“ auf der Aussenseite.
Ein Chrono namens CR-S Beta war dann der nächste Streich. Hier steckte Nebel enorm viel Zeit in die Entwicklung und Produktion des Gehäuses. Es besteht aus nicht weniger als 70 Einzelteilen. Alleine die beweglichen Bandanstösse benötigen pro Seite 11 Teile, die Nebel alle selber anfertigt. Selbst vor den Chronographendrückern machte der uhrmacherische Autodidakt nicht Halt. Boden und Lunette sind geschraubt, die 12 Schrauben auf der Lunette dienen auch noch als zusätzliche Indexe. Beim Chrono setzte Nebel wieder auf bewährte ETA-Technik, indem er das weit verbreitete Kaliber Valjoux 7750 einbaute, den legendären „Traktor“.
Die Uhren von Daniel Nebel sind nur an ganz wenigen Orten erhältlich. Das hat verschiedene Gründe. Zum ersten ist es sicher so, dass Nebel selber nicht unbedingt der beste Verkäufer ist. Mit fast zu viel Bescheidenheit präsentierte er uns bei seinem allerersten Besuch seine Uhren. Es war spürbar, dass seine Welt eher die in der Werkstatt ist, Maschinenöl statt Chanel 5. Uhrsachen entschied sich, ihm eine Chance zu geben und nahm die Uhren ins Sortiment auf, zur grossen Freude einer kleinen, aber treuen Fangemeinde.
Der unerwartete Quantensprung
Lange hörten wir nichts mehr von Nebel. Auf Nachfrage erklärte er, er tüftle an etwas ganz besonderem, aber er möge noch nicht darüber sprechen. Und plötzlich, spät abends eine Mailnachricht aus Büsserach: Man möge sich doch bitte sein neues Modell „Variocurve“ anschauen. Was wir auch sofort taten. Die Begeisterung war gross, und der Respekt über das Resultat von Nebels Tüfteljahren noch grösser. Was der Mechaniker hier vorstellte, als One-Man-Show ausgedacht und umgesetzt hatte, war schlicht unglaublich.
Grund für die monatelange Funkstille aus Büsserach: Die Entwicklung der Variocurve. Eine vollständige Eigenkonstruktion eines uhrmacherischen Autodidakten.
Variocurve heisst die Uhr, die etwas Revolutionäres hat. Die Funktionsweise ist eher schwierig in Worte zu fassen. Der Minutenzeiger hat keinen fixen Drehpunkt wie diese bei zentralen oder retrograden Zeigern der Fall ist. Nein, er erinnert mit seiner Exzenter-Bewegung an das Antriebsgestänge einer alten Dampflok. Steampunk im besten Sinn. Die Zeigerspitze beschreibt mit einem verschobenen Drehpunkt eine nierenförmige Bewegung, eine variable Kurve, daher der Name „Variocurve“. Nach unzähligen Stunden des Konstruierens und Simulierens fand Nebel einen Weg, wie der das Problem der beiden „toten Punkte“ des Exzenters lösen konnte, während dem die Anzeige schwierig abzulesen sein würde, weil die zurückzulegende Strecke in diesem Bereich sehr kurz ist. Er konstruierte „einfach“ zwei kleine Scheiben mit den entsprechenden Minutenskalen dieses Bereichs, die während dieser Zeit für die Detailanzeige sorgen.
Das folgende Schema mit den verschiedenen Zeigerstellungen verdeutlicht die Funktionsweise der Variocurve:
–> Beachten Sie auch den kleinen Film mit einer Animation der Funktion der Variocurve.
Die fertige Vorserien-Variocurve liegt in der Werkstatt neben dem Prototypen, mit dem Nebel das Funktionsprinzip gründlich austestete und verfeinerte.
Der Minutenzeiger alleine ist ein feinmechanisches Meisterstück. Gefertigt wird er aus einer speziellen Kupferlegierung namens ARCAP, die sich sehr gut bearbeiten lässt und sich durch hohe Festigkeit und gute antimagnetische Eigenschaften auszeichnet. Die grosse Schwierigkeit bei diesem Teil war, die Toleranzen bei der verschiebbaren Achse so auszulegen und umzusetzen, dass der Zeiger fest sitzt, aber dennoch so wenig Reibung hat, dass die Bewegung möglichst wenig Kraftaufwand benötigt. „Gleitteil“ nennt er ihn in seiner technischen Beschreibung.
Der Zeiger wird aus einem Rohling aus ARCAP gefräst.
Hier zeigt sich dann gnadenlos der Unterschied zwischen der Simulation am Bildschirm und der Realität, der schon vielen aussergewöhnlichen Konstruktionen zum Verhängnis wurde. „Doch, das habe ich ganz ordentlich hingekriegt“ bewertet Nebel die Meisterleistung mit seiner sympathischen Tiefstapelei.
Der Minutenzeiger ist das spektakulärste Element auf der Uhr. Darum wird er auch noch optisch mit viel Liebe zum Detail bearbeitet. An der „Hammerseite“ hat es zwei Vertiefungen, die Nebel – natürlich mithilfe eines selber gebauten Werkzeugs – fein sandstrahlt. Die Kanten werden geschliffen und poliert.
Auch die Brücken sind aus ARCAP. Die grossflächige Hauptbrücke trägt den schon von den Vorgänger-Zeitmaschinen bekannten markanten Nebel-Streifenschliff. Sie wird zuerst rhodiniert und dann je nach Ausführung mit Schwarz-, Rosé oder Gelbgold galvanisch behandelt. Alle Drucke auf den verschiedenen Scheiben und Brücken erfolgen im Tampondruckverfahren, auch hier kommt wieder ein ausgebufftes Maschinchen zum Einsatz, das über die Jahre laufend verbessert wurde.
Von wegen „ist ja nur ein ETA“
Insgesamt fertigt Nebel rund 40 Werkteile selber. Angetrieben wird das Ganze aber von einem bewährten Motor, dem automatischen ETA-Kaliber 2824. „Wieso soll ich das ganze Werk vollkommen neu entwickeln, wenn ich mit dem 2824 ein derart zuverlässigen und bewährten Antriebsstrang erhalten kann?“ sagt Nebel pragmatisch. Eine Haltung, die übrigens auch der begnadete Ludwig Oechslin immer wieder vertritt – er hat immer wieder ETA-Antriebe als Basis für seine genialen Konstruktionen eingesetzt. Wir warten aber schon auf die Kommentare in deutschen Uhrenforen zur Variocurve: „is‘ ja nur ’n ETA…“
Die Variocurve von hinten, mit ihrem eigenwilligen Aufzugsrotor
Eigenwillig ist die Konstruktion des Aufzugsrotors. Dieser ist ganz rund und erinnert ein wenig an eine schicke Autofelge. Das Besondere daran ist, dass er aus einem Stück gefräst wird, und zwar so, dass in der einen Hälfte viel weniger vom Rohling abgetragen wird, wodurch das Gewicht – von oben unsichtbar – asymmetrisch verteilt wird. Dies ist unerlässlich für eine funktionierende Aufzugsleistung.
Der Rotor ist aus einem Stück gefertigt. Die Gewichtsverteilung ist von oben nicht sichtbar.
Stahlbau, massiv.
Das Stahlgehäuse ist ein weiteres Beispiel Nebel’schen Schaffens. Der dicke Rohling wird in vielen Schritten gefräst, gebohrt, gebürstet und sandgestrahlt. Bei der 6-Uhr Position (oder dort, wo diese bei normalen Uhren wäre) ist innen eine besondere Ausbuchtung notwendig, damit der Minutenzeiger seinen ganzen Hub machen kann. Die Lunette und der Gehäuseboden, beide mit Saphirglas, werden von sieben Schrauben gehalten. Wegen dieser Einbuchtung ist auch die Demontage des Werks nicht ganz einfach, der Minutenzeiger muss zuerst abgenommen werden, damit das Werk aus seinem Gehäuse entnommen werden kann. Doch der Kniff war notwendig, weil die Uhr schlicht zu gross geworden wäre. Jetzt misst das Gehäuse knapp 44 mm und ist somit sehr tragbar.
Das Gehäuse wird in vielen Schritten aus einem Rohling (siehe folgendes Bild) gefräst
Die Variocurve wird in einer limitierten Auflage von je 97 Stück mit Schwarzgold, Rotgold und Gelbgold-Brücken hergestellt. Erstaunlich ist ihr Verkaufspreis von CHF 14’000.- Eine derart exklusive Komplikation hat es für diesen Preis noch nie gegeben.
–> Beachten Sie auch den kleinen Film mit einer Animation der Funktion der Variocurve.