„Und was bringt`s“ fragt mein dreizehnjähriger Sohn, als ich ihm die Bilder der wohl erstaunlichsten Maschine zeige, die ich je gesehen habe. „Muss es denn etwas bringen?“ frage ich zurück. Der Versuch, die Poesie der Mechanik zu erklären, scheitert leider.
Auch nach acht Jahren Entwicklungsarbeit ist sie noch im Prototypenstadium. Doch immerhin existiert jetzt ein funktionierendes Exemplar. Wir hatten das Privileg, uns die „Zeitschreibemaschine“ von Manuel Emch demonstrieren zu lassen, dem umtriebigen Patron der Uhrenmanufaktur Jaquet Droz. Grosser Stolz mischt sich bei ihm mit dem Enthusiasmus, den Jungs aufbringen, wenn sie etwas besonderes vorzeigen können, an dem sie lange getüftelt haben, und das dann endlich funktioniert.
Ein Rückblende: Jaquet Droz wurde ausgangs des 18. Jahrhunderts berühmt durch seine „Androiden“. Nahe der Hexerei wurden sie eingeordnet, seine unglaublich komplexen Konstruktionen. Königshäuser in ganz Europa liessen sich von Jaquet Droz` magischen Androiden verzaubern, den Schriftsteller, die Musikerin und den Zeichner. Die Androiden sind heute übrigens im Musée d`art et d`histoire Neuchâtel zuhause und werden dort jeden ersten Sonntag im Monat in Bewegung versetzt – ein Spektakel, das man einmal gesehen haben muss.
Eine Firma kann sich auf verschiedene Arten an ihre Geschichte anlehnen. Das gibt es plumpe, eher einfallslose Remakes (Beispiele sind die Heuer Monaco oder die Vintage-Kollektion von IWC) oder gescheiterte Retro-Designs (VW New Beetle oder Chrysler PT Cruiser). Erfreulicher sind gelungene Transportierungen in die heutige Zeit (Mini, Fiat Cinquecento, Ulysse Nardin mit seiner Serie der Marine Chronometer für Handgelenk).
Jaquet Droz hat mit seiner erfolgreichen Linie der „Grande Seconde“ bereits eine stilistisch einwandfreie Portierung der Vergangenheit im Portefeuille. Mit der „Machine à écrire le temps“ geht sie nun ganz eigene Wege. „Wir wollten nicht einfach einen neuen Androiden bauen – obwohl das eigentlich das naheliegendste gewesen wäre“ erläutert Manuel Emch. „Es ging uns darum etwas völlig neues zu schaffen. Etwas unmögliches möglich zu machen, aber auch eine philosophische Betrachtung der Zeit zu kreieren. Die Zeit ist der absolute Luxus, das meist gefragte Gut. Und auch das seltenste, selbst wenn man sie am liebsten teilt. Ungreifbar, flüchtig, einem Rhythmus gehorchend, auf den niemand Einfluss hat – die Zeit fasziniert, hypnotisiert und seit jeher versucht der Mensch vergeblich ihren Lauf aufzuhalten. Sie wurde mit Sonnenstrahlen, mit Sand- und Wasseruhren, mit voluminösen Standuhren und dann mit Taschenuhren gemessen. Immer und überall gehorchte man der gleichen Besessenheit: Die vergehende Zeit einzufangen. Wenn man sie schon nicht anhalten konnte, so wollte man doch wenigstens ihre Existenz beweisen. “
Entstanden ist in den vergangenen acht Jahren eine wahre Maschine der Superlative. Eine „retro-futuristische Hommage“ nennt es Emch. Der Aufwand, um die aktuelle Uhrzeit aufzuschreiben, ist gewaltig.
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Einige Zahlen zeigen, wie viel Aufwand betrieben wurde: Über 1200 Einzelteile, darunter 84 Kugellager, 50 Kurvenscheiben und 9 Zahnriemen. Tinguely hätte seine Freude daran. Geschützt wird die unglaubliche Konstruktion von einem Gehäuse aus Flüssigkristall-Glas, das selektiv den Blick auf die Mechanik freigibt. Ausgelöst wird der Zeitschreiber durch eine einfache Berührung. Man legt ein Blatt Papier auf die dafür vorgesehene Stelle, und nach einigem Drehen und feinem Rattern schreibt ein Stift vierstellig die aktuelle Uhrzeit auf. Eigentlich der wahre „Chrono-Graph“, der „Zeit-Schreiber“.
Als „gigantischer Meccano, zusammengebaut von einem dislexischen Uhrmacher“ bezeichnete der französische Uhrenjournalist das Ganze ironisch, aber voller Bewunderung. „Ein echtes Beispiel für die Horlogerie 2.0“, ergänzt Pons in Anlehnung an den Begriff des Web 2.0. Wie alle anderen, die die Maschine bewundern durften konnte auch er sich der Faszination nicht entziehen.
28 Exemplare dieses aussergewöhnlichen Objekts werden gebaut, verteilt auf mehrere Jahre. „Wir haben die Kapazitäten für wenige Exemplare pro Jahr“ erklärt Emch die Limitierung. Rund 400’000 Franken wird die Maschine kosten. „Darin eingerechnet ist aber auch eine „On-site-Garantie“ von acht Jahren. „Die Maschine im Falle eines Defekts zu versenden ist zu heikel. Darum wird einer unserer Spezialisten an jeden Ort der Welt reisen, um die Maschine wieder instand zu setzen, sollte sie einmal Probleme bereiten.“
Fazit: 400’000 Franken sind bestimmt sehr viel Geld. Wäre mein Sparschwein aber so gut gemästet – ich würde es für diese Skulptur sofort auf die Schlachtbank führen.