Eine der Faszinationen der Uhrenindustrie sind die unzähligen kleinen Firmen, die ein so spezielles Produkt herstellen, dass sie fast keine Konkurrenz kennen. Donzé Cadrans, idyllisch situiert am Rand von Le Locle, ist eine von ihnen. Klicken Sie hier für eine ausführliche Bildergalerie zum Thema

Das Zifferblatt ist das Gesicht der Uhr. Neben teilweise oder vollständig automatisiert hergestellten Zifferblättern gibt es eine in Stückzahlen verschwindend kleine Produktion von wahren Preziosen, Kunstwerken auf kleinstem Raum. Eine der Paradedisziplinen ist das sogenannte „Email cloisonné“, auf deutsch weniger poetisch Zellschmelz-Email genannt.

Die Wurzeln der Firma liegen in der legendären Neuenburger Pendule. Der vor einigen Jahren verstorbene Firmengründer Francis Donzé war Émailleur bei Zenith in Le Locle. 1972 machte er sich selbständig – zehn Jahre später übernahmen Michel Vermot und seine Gattin Francine, Tochter des Gründers, die Firma. Arbeit für Email-Spezialisten gab es damals noch genug – Pendulen waren im Gegensatz zu heute noch gefragt. Vermot sah aber auch Chancen für Zifferblätter in der Haute Horlogerie.

Michel Vermot designt die Zifferblattvorlagen

Michel Vermot gestaltet die Zifferblattvorlagen am Bildschirm

Eine eher zufällige Begegnung in einem der vielen Le Locler Restaurants sollte dafür sorgen, dass Vermot auch mit der Produktion von Email cloisonné-Zifferblättern begann. Am Nebentisch sass Rolf Schnyder, der vor kurzem die am Boden liegende Ulysse Nardin übernommen hatte, eine Perle der Uhrenindustrie. Schnyder hatte kurz vorher mit der Lancierung des „Astrolabium“ für viel Aufsehen gesorgt – es war die erste komplexe astronomische Uhr fürs Handgelenk. Zusammen mit seinem Entwicklungsgenie Ludwig Oechslin hatte er ein weiteres hochkompliziertes Projekt in petto, das „Tellurium“ mit einer Ansicht der Erde von oben. Dafür benötigte er ein entsprechend aufwendiges Zifferblatt. Ein Wort gab das andere, Vermot sicherte etwas übermütig zu, einen Prototypen aus Émail herzustellen, schliesslich war er mit dem Werkstoff gut vertraut, nicht aber mit der Cloisonné-Technik. Schnyder wollte auch nicht über einen Preis diskutieren – relevant war einzig, ob es möglich sei oder nicht, ein solches Zifferblatt herzustellen. Drei Monate tüftelte er und legte dann sein Resultat vor. Schnyder war begeistert und orderte 100 Stück. Eine Krisensitzung beim Ehepaar Vermot war die Folge, mit einer solchen Stückzahl hatte man nicht gerechnet. „Nicht machbar“ hiess die Devise (neben den Zweifeln, dass eine solche Uhr hundert Käufer finden würde). Schnyder insistierte trotz eines hohen Preises – Vermot blieb als Ehrenmann nichts anderes, als sich in die Produktion zu stürzen. Der Grundstein für die Produktion von Cloisonné-Spezialitäten war gelegt. Bis zum Ende der Produktion des Telluriums sollten dann übrigens insgesamt an die 500 Zifferblätter hergestellt werden…. Ulysse Nardin zählt heute noch zu den besten und treusten Kunden von Donzé Cadrans. In der San Marco-Reihe sind, immer in kleinen Auflagen von maximal einigen Dutzend Stück, Sujets aus der Geschichte, der Seefahrt, der Mystik realisiert worden. Letzter Streich war das Modell „Kreml“, das in einer Art Fabergé-Ei ausgeliefert wurde. Andere Interessenten folgten, und im Lauf der Jahre sollte Donzé Cadrans die erste Adresse für Cloisonné-Zifferblätter werden.

Was ist überhaupt machbar?
Ein Drachen für den asiatischen Markt? Flieger oder Ballone für die Aviatik-Freunde? Welches Sujet soll das Zifferblatt zieren? Donzé präsentiert seinen Kunden eigene Ideen oder die Kunden kontaktieren ihn mit ihren mehr oder weniger konkreten Wünschen. In der Folge zeichnet Vermot die ersten Entwürfe für die Zifferblätter, häufig auf Basis von Fotos oder Illustrationen. Diese Zeichnungen präsentiert er seinen Kunden.

Besonders am Cloisonné sind die einzelnen Zellen. Jede einzelne Zelle erhält einen definierten Farbton, durchnumeriert aus einer beeindruckenden Musterpalette. Nichts von schnöden RAL-Industrienormen – die Palette ist „Norme Donzé“ sagt der Patron mit Schalk. Faszinierend und erschwerend ist der Umstand, dass die gleiche Farbe auf verschiedenen Untergründen ganz anders aussehen kann. Die kleinen Farbmuster zeigen darum immer die drei verwendeten Basismaterialien Silber, Messing und Gold, stets in einer oder zwei Schichten. Das ergibt tausende von Varianten.

Auf der Zeichnung ist das Ganze noch einfach – Zellen werden mit simplen Strichen unterteilt. Wie in einem Kindermalbuch, nur um ein vielfaches kleiner. Erst nach der Abnahme des Sujets durch den Kunden beginnt die wahre Geduldsarbeit. Auf Basis einer Zeichnung in Originalgrösse werden haarfeine Golddrähte mit Hilfe von zwei feinen Pinzetten einzeln in die Form der Konturen gebracht. Dies ist nur mit einer völlig ruhigen Hand und dem sprichwörtlichen Fingerspitzengefühl möglich. Und dies nicht etwa in Serie, sondern für jedes einzelne Zifferblatt von neuem.

Die 0,05 mm dünnen Drähte werden von Hand gebogen.
Die 0,05 mm dünnen Drähte werden von Hand gebogen.
Sektorenweise arbeitet sich Mario dabei vor, einer der Spezialisten von Donzé Cadrans. Er ist – man staunt – gelernter Maurer. „Es gibt keine Berufslehre für den Emailleur, man lernt das in der Praxis.“Man wird sprachlos, wenn man zuschaut, wie er diese 0,05 mm dünnen (!) Drähte mit höchster Vorsicht auf den Zifferblattrohling klebt, bis nach vielen Stunden die endgültige Rohzeichnung steht. In einem ersten Durchgang im Ofen wird das Ganze geheizt, damit sich die Fäden verschweissen und sich die Zellen schliessen.
Nun folgen die nächsten Schritte der Geduldsprobe. Zelle für Zelle wird hauchfein mit der leicht wässrigen Emailpaste in der vorher präzise festgelegten Farbe befüllt. Dies geschieht wie eh und je mit einer Gänsefeder. „Nur die Feder hat die richtige Kapillarwirkung, damit die Farbe schön fliesst“ erläutert Vermot das altertümlich anmutende Instrument.

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Nichts für Zitterer: Einfüllen der Farbe in die verschiedenen Zellen

Nach der ersten Schicht gelangt das Zifferblatt zum zweiten Mal in den rund 850 Grad heissen Ofen. Vorsichtig schiebt der Emailleur das Kleinod in die Hitze. Von Zeit zu Zeit öffnet er die kleine Tür und wirft einen prüfenden Blick auf das Werkstück. „Man kann das nicht nach festgelegten Zeiten machen. Es sind sehr viele Faktoren, die das Resultat beeinflussen: Die Dicke der aufgetragenen Schicht, die Temperatur im Ofen, die verwendeten Farben… Erfahrung ist alles.“

Mehrere Schichten werden in der Folge aufgebracht, eine nach der anderen, in verschiedenen Dicken für die Realisation von Farbverläufen. Nach jeder Schicht wandert das Teil wieder in den Ofen. Nach gründlichem Abkühlen wird dann das ganze Zifferblatt mit einer Diamantfeile geschliffen. So werden die noch leicht überstehenden Goldfäden ausgeglichen und wieder schön glänzend. Ein letzter, aber extrem heikler Schritt ist das Zurückbiegen. Während den vorhergehenden Prozeduren war der Rohling immer leicht bombiert, nun muss er absolut flach gemacht werden, damit nach dem Einbau in die Uhr Zeiger und Datumsscheiben nicht behindert werden. Ein letztes Mal wird er darum im Ofen aufgeheizt. Mit einem Stück geschliffener Holzkohle („es gibt nichts Besseres für diesen Schritt“) wird das Blatt dann vorsichtig zurechtgedrückt. „Hier kann man innert Sekunden eine Arbeit von mehr als hundert Stunden ruinieren“ sagt Vermot. Auf die Frage nach den Konsequenzen für den Mitarbeiter, der ein Stück zerstört, antwortet er gelassen: „Was soll man machen? Wir sind Menschen und keine Maschinen. Da kann einfach einmal etwas schief gehen. Aber in diesem Stadium passiert das zum Glück selten.“
Generell ist Email eine fragile Angelegenheit. Wenn es einmal ausgekühlt ist, wird es sehr brüchig. Gross ist die Fehlerquote besonders bei den traditionellen weissen Emailzifferblättern, die Vermots Mitarbeiter nach wie vor produzieren. Zeuge sind unzählige Schachteln mit „Ausschussware“. Beim Anblick von ganzen Bergen von Patek-Philippe-Zifferblättern wird es dem Uhren liebenden Besucher fast schwindlig. Feine schwarze Punkte, die in der Hitze durch Oxidation von Molekülen auf dem Messingrohling entstehen können, ruinieren die Blätter. Nur die fehlerfreien schaffen es bis in die perfekte Uhr.

Im Sitzungszimmer haben unterdessen zwei Vertreter einer weltbekannten Uhrenfirma Platz genommen und – zum Erstaunen des Reporters – ein ganzes Arsenal an Lupen und sogar ein Mikroskop aufgebaut. „Gewisse Kunden lassen wir die Endabnahme der fertigen Stücke gleich bei uns machen. Wir verrechnen ihnen nur die Zifferblätter, die sie als gut befunden haben. Dafür vermeiden wir jegliche Diskussionen, wenn bei der Montage der Uhren ein Zifferblatt beschädigt wird…“ erläutert Patron Vermot den eher ungewöhnlichen Auftritt.

Die Kundenliste ist spektakulär, von A wie Audemars Piguet bis Z wie Zenith stehen klingende Namen auf den herumstehenden Schachteln mit Rohlingen. Für einmal ist auch die legendäre Diskretion eines Zulieferbetriebs kein Thema. Vermot ist nicht einer, der ein Blatt vor den Mund nimmt, geschweige denn sich von seinen Kunden Vorschriften in der Kommunikation machen lässt. Er kann es sich erlauben, denn Alternativen sind rar. Eine maschinelle Fertigung von Cloisonné hat bis heute niemand auch nur ansatzweise realisieren können. Das Ganze ist schlicht zu filigran.

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Ulysse Nardin „Achille“ aus der San Marco-Reihe

Ein weiterer Teil des Arbeitsgebiets von Donzé Cadrans ist die Produktion von „herkömmlichen“ weissen Zifferblättern aus Email. Oft sind dies Einzelstücke. Aus der ganzen Welt sendet man ihm zerbrochene Zifferblätter von wertvollen antiken Taschen- oder Grossuhren zu. „Wir stellen eine möglichst perfekte Reproduktion solcher Stücke her. Dafür fertigen wir zum Teil neue Vorlagen an, die in einer Mischung aus Tampondruck und feinster Handmalerei aufgetragen werden.“ Auch hier ist der Preis sekundär – der Kunde will in erster Linie seine Uhr retten.
Ein erstaunliches Phänomen am Rande: Donzé Cadrans hat schwierige wirtschaftliche Zeiten hinter sich, obwohl die Uhrenbranche seit mehreren Jahren Rekordzahlen schreibt. Vermot hat eine verblüffende Erklärung: „In den überhitzten Zeiten verkauft sich fast alles (ausgedrückt im kaum übersetzbaren „n`importe quoi“). Selbst die weniger speziell produzierten Sachen gehen weg wie warme Semmeln. Die Hersteller sind so ausgelastet, dass sie sich nicht die Mühe machen, artisanale Produkte auf den Markt zu bringen. Erst in den schwierigeren Zeiten besinnt man sich wieder auf die wahren Spezialisten und muss sich mit besonderen Erzeugnissen abgrenzen. Wir sind darum völlig antizyklisch ausgelastet.“ Dem Handwerk zuliebe würde man sich also fast eine Abkühlung der Branche wünschen…
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